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Die Glasfenster von Markus Lüpertz in St. Elisabeth im Sand

Mit den acht Glasfenstern des international renommierten Künstlers Markus Lüpertz für die Kirche St. Elisabeth hat Bamberg einen bedeutenden Kunstort erhalten. Bildgegenstand der raumhohen Fenster ist das Patrozinium der Kirche. Alle acht Fenstermotive zeigen Szenen aus dem Leben der heiligen Elisabeth verbunden mit den sieben Werken der Barmherzigkeit aus der Bibel: Hungrige speisen, Obdachlose beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Gefangene besuchen, Tote begraben, Almosen geben. Das achte Fenster ist dem Bibelspruch „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 40) gewidmet.

Die Bilder, so erklärt der Künstler Markus Lüpertz, sollen die Betrachterinnen und Betrachter dazu einladen, sich mit den Geheimnissen und Fragen der Mystik zu beschäftigen und zu eigenen Positionen zu finden.

Möglich geworden sind die Lüpertz-Fenster durch das starke Zusammenspiel verschiedener Protagonisten auf unterschiedlichsten Ebenen. Spenderinnen und Spender, Stiftungen, die Lüpertz-Fenster Initiative, die Dompfarrei sowie die Mitarbeitenden der Glasmanufaktur Derix im Taunusstein - sie alle haben es ermöglicht, dass in der Kirche St. Elisabeth etwas Bleibendes erschaffen wurde.

Die Entwürfe der Glasfenster, die Lüpertz im Format 1:1 in seinem Atelier hergestellt hat, wurden vom Diözesanmuseum Bamberg erworben. Dort sind sie im repräsentativen Treppenhaus des Museums neben dem Bamberger Dom ausgestellt und geben einen imposanten Einblick in die künstlerische Absicht und die Umsetzung der Glasmaler der Firma Derix.

Hintergrund

Pfarrer Hans Lyer zu den theologisch-spirituellen Aspekten

Das Kirchenfensterprojekt an St. Elisabeth in seiner Entwicklung hat seinen Ort in der kleinen Gemeinde, die sich jeweils Samstagabend zum Gottesdienst versammelt.

Aus dieser Gottesdienstgemeinde heraus wurde die von Markus Lüpertz geäußerte Idee, Kirchenfenster für die Elisabethenkirche zu schaffen, aufgegriffen und in einer kleinen Arbeitsgruppe theologisch diskutiert. Gemeinsam mit Lüpertz wurde so ein theologisch-spirituelles Konzept entwickelt, das sich an den "Werken der Barmherzigkeit" (Mt. 25) und Geschichten und Legenden aus dem Leben der Hl. Elisabeth orientiert. Ein wichtiges Anliegen war dabei, dass die biblischen Texte und das Leben der Heiligen in eine Verbindung gebracht werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass Elisabeth eine "Bamberger Geschichte" hat, bietet eine solche Zusammenschau die Möglichkeit Evangelium und Leben, Glauben und Handeln, für unsere Zeit zu deuten. Ein wichtiger Aspekt war für die Arbeitsgruppe aus St. Elisabeth immer, dass die Kirchenfenster ihren theologischen Ort in der Verkündigung des Glaubens haben. Der Künstler Lüpertz leistet demnach nicht nur künstlerische Arbeit, er ist mit seiner Arbeit auch Teil kirchlicher Verkündigungsarbeit. Predigen ohne Worte - eine Predigt in Glas. So dürfen wir mittlerweile zwei Fenster hier in St. Elisabeth zeigen und im Frühjahr 2021 weitere Fenster erwarten.

Im Jahr 2019 konnten von den acht projektierten zwei Fenster präsentiert werden, die hier nun vorgestellt werden sollen:

Im Chor der Kirche rechts ist das Fenster mit dem Thema "Almosen geben" zu betrachten. Elisabeth begegnet einer Bettlerin und wendet sich ihr zu. Die Heilige wird mit einer grünen Kopfbedeckung und übergroßen, gebenden Händen dargestellt. Gegenüber eine Bettlerin, die Elisabeth berühren will und sie nach unten in den Dreck zieht. Diese Berührung wird in der mystischen Tradition als "Unio mystica" bezeichnet. In dieser "mystischen Vereinigung" erfährt Elisabeth eine Christusbegegnung in der Bettlerin. Im Armen Christus zu erkennen bezieht sich auf die Theologie des Matthäusevangeliums ("Was ihr für einen meiner Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan"). Andererseits verändert die Begegnung mit der Heiligen auch die Bettlerin (rechte Seite unten) und Lüpertz zeigt die Bettlerin sitzend in nun leuchtenden Farben. Die Szene der beiden Frauen wird durch eine Blumen- und Blütenornamentik gerahmt. Im unteren Teil sind ein Hund und eine Mütze zu erkennen. Wendet sich der Betrachter noch einmal dem Detail der übergroßen Hände Elisabeths zu, so verweisen diese gebenden, austeilenden Hände auf eine elisabethanische Spiritualität, die es in unsere Zeit hinein zu verlängern gilt.

Das zweite Fenster auf der Kanzelseite, greift auf die Conclusio der "Werke der Barmherzigkeit" (Mt. 25,40). Es unterscheidet sich vom ersten Fenster zum einen, dass es zweibahnig gestaltet ist, und zum anderen besonders durch seine Leuchtkraft. Der Künstler bleibt nun ganz im Abstrakten und lässt in der Blüten- und Blumenpracht erahnen, dass die Christuserfahrung alles verändert. Das beherrschende Motiv ist eine Schöpfung, die in ihrer bewegten Buntheit Ausdruck eines kosmischen Tanzes ist. Farben und Formen kreisen und überschneiden sich in einer Dynamik, in der die Gegenwart Gottes förmlich erstrahlt: "Alles, was atmet, lobe den Herrn". Die Leuchtkraft dieses Fensters will so der Sehnsucht des Menschen nach der Vision eines Schalom, nach einem heilen Leben, Raum geben. Als Zusammenfassung der sieben Werke der Barmherzigkeit zeigt dieses Fenster durch seine überbordende Leucht- und Strahlkraft, dass sich der Mensch im gelebtem Evangelium, in der Zuwendung zum Armen, mit hinein genommen weiß in eine Bewegung, die etwas von dem zeigt, was die Bibel "Leben in Fülle" nennt.

Das Zeugnis eines sozialen Evangeliums, wie Elisabeth es für die Armen und Kranken gelebt hat, wird so selbst Teil einer alles verändernden Bewegung, die im Bild des Blühens und praller Fruchtbarkeit seinen Ausdruck findet. Lüpertz lässt in diesem Fenster etwas von dem aufscheinen, was wir paradiesisches Leben oder Heimat bei Gott nennen, es fasziniert mit fast explosiver Leuchtkraft und illustriert die große Ur-Sehnsucht des Menschen nach „ewigem Licht“.

Christoph Gatz zur Entstehung der Initiative

Die Kirche St. Elisabeth im Sand in Bamberg erhält mit den acht Glasfenstern des Malers und Bildhauers Markus Lüpertz ein Glaubenszeugnis in säkularer Zeit und ein großartiges Beispiel zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum (siehe auch: Ornamente der Ewigkeit in DIE ZEIT vom 17. September 2020).

Anlässlich der Enthüllung der Bronzefigur „Apoll“ von Markus Lüpertz, die vor der Kirche aufgestellt worden war, äußerte der Künstler in Anwesenheit des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder und von Oberbürgermeister Andreas Starke damals die Idee, das Gebäude mit farbigen Fenstern auszustatten. Aus der Gottesdienstgemeinde gründete sich eine Initiative, die ein theologisches Konzept dafür erarbeitete. In den acht Fenstern sollten Szenen aus dem Leben der Hl. Elisabeth in Verbindung mit den sieben in der Bibel erwähnten Werken der Barmherzigkeit ihren Niederschlag finden. Der Gemeinde war es wichtig, in der heutigen Zeit ein soziales Evangelium gut sichtbar in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Markus Lüpertz setzte dieses Programm auf acht Kartons im Maßstab 1:1 um. Bei den Besuchen in der Künstlerwerkstatt in Berlin-Treptow konnte die Initiative die Gespräche zum Thema mit Markus Lüpertz anhand der ersten Entwürfe vertiefen. Diese wurden im Kunstraum Kesselhaus in Bamberg vom Künstler der Öffentlichkeit vorgestellt. In der Folgezeit hingen sie in einer eindrucksvollen Präsentation längere Zeit im Längsschiff der Elisabethenkirche. Die Initiative bemühte sich um die Finanzierung durch öffentliche Institutionen. Dies stellte sich als eine extrem aufwändige Arbeit dar. Im Ergebnis konnte letztlich das erste Fenster mit einem großen Anteil privater Spenden finanziert werden. Hierbei war der Anteil einer anonymen Einzelspende besonders wichtig. Steuermittel von Kirche, Stadt oder Staat sollten nicht eingesetzt werden.

Schon bald nach der Realisierung des ersten Fensters am 10.09.2019 wurde das zweite Fenster am 07.12.2019 eingebaut. Das öffentliche Interesse war groß, durch die Lage am Touristenpfad der Altstadt ist ein reger Besuch auswärtiger Besucher entstanden. In der Folge kam es zu einem außerordentlichen Anstieg der privaten Spenden. Wiederum waren es Einzelspender, mit deren Hilfe zwei weitere Fenster finanziert werden konnten. Ein drittes wurde durch umfangreiche, breit angelegte Briefaktionen, Benefizveranstaltungen und Spendensammlungen finanziert. Letztendlich konnte das Projekt am 25. Juni 2022 der Öffentlichkeit übergeben werden.

Das Projekt ist inzwischen bundesweit bekannt geworden und der Name Lüpertz wird mit den Fenstern in Bamberg in Verbindung gebracht.

Dr. Barbara Kahle zum kunstgeschichtlichen Hintergrund

Farbiges Glas hat über Epochengrenzen hinweg nichts von seiner Faszination eingebüßt. Die großen Kirchenfenster, denen bis heute unsere Bewunderung gilt, sind dabei niemals als autonome Kunstwerke zu sehen, sondern gehören zur Architektur, bestimmen die atmosphärische Qualität des Raumes entscheidend mit. Glasmalerei als eine baugebundene Kunst ist sowohl Verschluss wie Lichtspender und farbiges Bilderlebnis, sie lässt die Kirchen als wandelnde Lichträume erleben.

Auch die großen Maßwerkfenster der spätgotischen Spitalskirche St. Elisabeth, ab etwa 1400 errichtet, waren einst vermutlich auf Farbverglasung angelegt. Wir wissen leider nichts über die ursprünglichen Fenster, wissen auch nicht, ob sie jemals fertig gestellt wurden, war doch auch in jenen Zeiten dies eine finanzielle Frage. Zudem gab es in Bamberg, im Gegensatz zu Nürnberg, keine glasmalerische Tradition.

Nach einer wechselvollen Geschichte der ehemaligen Spitalskirche mit z. T. profaner Nutzung besann man sich zu Ende des 19. Jahrhunderts wieder auf die kirchlichen Wurzeln. St. Elisabeth wurde saniert und neugotisch ergänzt mit Altären, Kanzel und Orgel der ehemaligen Bamberger Kapuzinerkirche St. Heinrich und Kunigunde, die Ende des 19. Jahrhunderts dem Neubau des Clavius-Gymnasiums weichen musste. Zur Neuweihe war auch das Chorscheitelfenster fertig: Maria mit dem Hl. Josef und der Hl. Anna über einem gerauteten Teppichmuster, in typisch neugotischer Gestaltung. Gestiftet hatte es ein Bürger dieser Stadt, Josef Reichert. Zumindest im Chorbereich zeigten die anderen Fenster eine rein ornamentale, stark farbige Gestaltung. Bei der großen Renovierung Anfang der 1960er Jahre verschwanden mit Ausnahme des einen Chorfensters die alten Fensterscheiben des 19. Jahrhunderts und wurden gegen bedeutend helleres Fensterglas ausgetauscht, man versprach sich davon eine freundlichere Atmosphäre, wie mehrere Zeitungsartikel aus dem Jahre 1962 berichten. Die Fenster zeigen mit den Sechseck-Waben und der zarten Tönung in hellbraun, grün, rosa, lila, eine typische Gestaltung routinierter denkmalpflegerischer Maßnahmen der 60er Jahre. Die Farbgebung entsprach ebenfalls dem Zeitgeschmack der Glasgestaltung jener Jahre, wo, von einigen Ausnahmen abgesehen, lichte Farben und diskrete Erdfarben dominierten.

Mit dem Projekt einer Neuverglasung nach Entwürfen von Markus Lüpertz ergibt sich nun die Möglichkeit, die dem Raum wenig entsprechende Sechseckverglasung durch eine künstlerisch überzeugende Neuschöpfung zu ersetzen. Der 1941 geborene Lüpertz gilt als einer der bedeutendsten deutschen Künstler der Gegenwart. Seine monumentalen Skulpturen schmücken zahlreiche Plätze - wie auch hier außen vor dem Chor der Elisabethenkirche - und seine Werke sind in wichtigen Kunstsammlungen der Welt vertreten. Von 1988 bis 2009 war er hoch geachteter Rektor der Kunstakademie Düsseldorf. Lüpertz ist vor allem bekannt als Maler und Bildhauer, hat sich aber schon seit vielen Jahren auch mit der Glasmalerei beschäftigt: 1989 kommt es zu Fensterentwürfen für die Kathedrale in Nevers, - nicht verwirklicht, 2002 entstand ein Fenster für die Totentanzkapelle in Lübeck und schließlich, neben anderen Projekten, ab 2008 die großartige Fensterfolge für St. Andreas in Köln. Derzeit sind elf weitere Fenster für das Langhaus und die Vorhalle dieser Kölner Kirche in Arbeit.

Maler wie Gerhard Richter (Köln, Dom, Abtei Tholey), Sigmar Polke (Zürich, Großmünster), Imi Knoebl (Kathedrale, Reims), Neo Rauch (Dom zu Naumburg), Markus Lüpertz, aber auch Bildhauer wie Tony Cragg (ev. Kirche in Großbadegast, Anhalt-Bitterfeld) begeistern sich in den letzten Jahren auffallend für das alte Metier der Glasmalerei. Ihren Werken - oft auch als Künstlerfenster bezeichnet - verdankt die Glaskunst erfrischend neue Impulse und ein hohes Aufmerksamkeitspotential. Als Maler sehen diese Künstler in der ausgeprägten Farbigkeit das Eigentliche der Glasmalerei und steigern diese zu größter Pracht (vgl. Holger Brülls). Wer kennt nicht - zumindest von Bildern – das riesige Südquerhausfenster im Kölner Dom von Richter in seiner unglaublichen Farbenfülle? Markus Lüpertz ist unter diesen „Künstlerstars“ derjenige, der das Thema Figur so radikal wie kein anderer in der Glasmalerei der Gegenwart aufgeworfen hat. Biblische Geschehnisse des Alten und Neuen Testamentes, Heilige, historische Persönlichkeiten, das alles wird in ausdrucksstarke Bildfiguren umgesetzt.

Lüpertz misst dem Thema Religion und Glaube eine hohe Bedeutung bei. "Ich bin bekennender Katholik und habe zu Religion ein liebevolles, freundschaftliches Verhältnis und finde es immens wichtig", sagte er in einem Interview. "Das hat aber nicht unbedingt etwas mit mir als Künstler zu tun, sondern mit meiner Lebensauffassung. Aber letztlich kann man es schwer auseinanderdividieren, es ist symbiotisch." (Katholische Nachrichten-Agentur).

Gemäß dem theologischen Programm, das seinerzeit eine Kommission aus Theologen, Vertretern der Stadt und der Kultur erarbeitet hatte, wählte Lüpertz Stationen aus dem Leben der Hl. Elisabeth - Patronin der Nächstenliebe und Inbegriff des barmherzigen und karitativen Menschen - in Verbindung mit den im Matthäusevangelium erwähnten sieben Barmherzigkeiten: Hungernde speisen, Fremde beherbergen, Almosen geben, Nackte bekleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten. Diese beiden Akzente: Szenen aus dem Leben der Heiligen und die Werke der Barmherzigkeit stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern wachsen quasi zu einer Gesamtkomposition zusammen. Den Bildern ist so eine überzeitliche Forderung nach Nächstenliebe eingeschrieben.

Bei dem Fenster „Almosen geben“ wird Elisabeths Begegnung mit einer alten Frau dargestellt. Elisabeth mit angedeuteter Krone - farblich deutlich hervorgehoben - blickt auf die abwehrende Alte, die in den weißgetönten Ornamentfeldern durch das schwarze Liniengefüge erkennbar wird. Es handelt sich um eine Schlüsselszene im Leben der Hl. Elisabeth, in der sich Christus der Landgräfin offenbarte. Nach dem Tod ihres Mannes sah Elisabeth ihre Lebensaufgabe nun in dem Dienst an den Kranken und Schwachen. In der Begegnung mit der Alten, die ihr an einer engen Wegstelle nicht Platz macht, wird Elisabeth bewusst, dass sie von jetzt an auf der gleichen Stufe der Besitzlosen mit den gesellschaftlich an den Rand Gedrängten steht. Freudig handelnd weist Elisabeth mit übergroßen Händen auf einen Bedürftigen in hockend-passiver Position, Almosen erbittend. Eingestreute Blüten in der Verbindung beider Bereiche lassen an das „Rosenwunder“ denken. Die Szene im unteren Bildfeld: ein bettelnder Mensch mit Hut und Hund ist wohl jedem Betrachter bekannt. Gegenwärtiges, Überzeitliches macht die Relevanz der historischen Figur und ihrer Aussage für uns heute deutlich.

Lüpertz geht es in der Darstellung nicht um naturgetreue, quasi fotografische Wiedergabe von Szenen oder Einzelpersonen, diese sind vielmehr fragmentarisch, „gebrochen“, so hat sie Domkapitular Jung bezeichnet. Übliche Abbildungen der Heiligen werden in Frage gestellt, stattdessen konzentriert Lüpertz die Aussage vor allem auf die Köpfe und Hände. Gegen das gängige Schöne und allzu Liebliche etwa in Bildern des 19. Jahrhunderts wirken diese überzeichnet, zugespitzt auf das Eigentliche des Handelns und Denkens. Mit der ihm eigenen nahezu brachialen Kraft der Stilisierung und Expression schafft der Künstler Figuren von unglaublicher Kühnheit und Kraft. Diese sind ebenso expressiv wie monumental, einprägsam, mit eindringlicher Betonung des Blickes. Die Drastik und bisweilen Fremdheit in der Darstellung rufen immer wieder auch heftige Reaktionen beim Betrachter hervor, bewirken aber gerade das Angesprochensein im Hier und Jetzt. "Nicht glatt und nicht gefällig" fordern uns die Fenster auf komplexe Art und Weise heraus, in der Motivik, in den Gesichtern und Fragmenten menschlicher Gestalt, im Wechselspiel von Abstraktem und Figurativem.

Die Figuren sind eingewoben in teils helle, teils farbige abstrakt ornamentale Partien, die als verbindendes Element in allen Fenstern wiederkehren. Lüpertz hat auf den klassischen umlaufenden Randfries verzichtet, da die eng bei einander stehenden Fenster zu einem durchgehenden bildthematischen Werk zusammengebunden werden sollen. Wenn man das alte Fenster im Chorscheitel mit dem neuen vergleicht, werden fundamentale Unterschiede in der Komposition von Figur und Ornament sichtbar. Beim alten Fenster stehen die Figuren statisch isoliert in einem Gehäuse; das Ornament im unteren, durch den Altar verdeckten Bereich ist Dekoration, das mit der religiösen Aussage eigentlich nichts zu tun hat. Bei Lüpertz geht es nicht mehr um Flächendekoration, sondern das lineare und farbliche Gewebe wächst mit den Figuren zu einer Einheit zusammen. Abstraktion und Figuration ergänzen sich, fügen sich zusammen in meisterhafter Einhelligkeit. Man mag an stilisierte Blätter denken, was wiederum auf das Rosenwunder verweist oder auch an das Flechtwerk des Korbes, in dem Elisabeth die Almosen verbirgt. Auch inhaltlich entsteht so eine Einheit. Die Figuren wachsen aus dem linearen Gewebe hervor, bzw. in sie hinein.

Das zweite Fenster entstand zu dem Wort aus Matthäus 25, 35ff „Was Ihr dem Geringsten getan habt, das habt Ihr mir getan“. Hier sind keine figürlichen Szenen wiedergegeben, vielmehr wird das flächenfüllende Ornament, das in den anderen Fenstern die Figuren umgibt, zum allein beherrschenden Motiv. Unregelmäßig spitz-ovale Formen überschneiden sich, bilden kreisende Formationen und füllen in dynamischer Bewegung die beiden Fensterbahnen. Die kräftig leuchtende Farbigkeit wird durch die einfassenden Bleiruten, die als schwarze grafische Elemente wirken, noch gesteigert. Bleibt die Ornamentik in den Figurenfenstern farblich zurückhaltender, gedämpfter, so erstrahlt dieses Fenster in höchster Intensität.

Lüpertz ist in allen seinen Fensterarbeiten tief eingedrungen in die Glasmalerei, in deren materialästhetische und technische Bedingungen. Anders als Malerei, die auf das reflektierende Auf-Licht angewiesen ist, geht es hier um die mit Glas zu gestaltenden Wirkungskräfte des durchdringenden Gegen-Lichtes. Die Fenster werden stets als klassische Bleiverglasung ausgeführt und zeigen opulenten Einsatz aller glasmalerischen Kunstmittel, die bereits das Mittelalter kannte: es werden antike Opakgläser verwendet - hier von der Firma Lambertz, Waldsassen - die gegenüber gewalzten Scheiben mehr Einschlüsse wie runde und ovale Luftblasen besitzen und damit eine größere Lebendigkeit auch in der Oberflächenstruktur. Überfanggläser kommen zum Einsatz, dazu Malerei mit Schwarzlot und Silbergelb; die raffinierte Verwendung industrieller Strukturgläser erzeugt zudem eine außergewöhnliche Brillanz der Lichtwirkung (z. B. geriefelte Gläser).

Einen großen Anteil an der Umsetzung vom Entwurf zum fertigen Fenster hat die Firma Derix, Taunusstein mit ihrer langen Erfahrung und dem handwerklichen Know-how. Lüpertz hat sich schon immer für mittelalterliche Glasfenster begeistert, deren eigene Ästhetik, Farbigkeit und Struktur, die Art und Weise, wie etwa die Bleieinfassung genutzt wird, indem sie quasi das Zeichnerische vervollständigt, dann mit Schwarzlot weitere Linien, Feinheiten und Zeichnungen hineinbringt. Neuartige Techniken wie Siebdruck oder fotomechanische Verfahren interessieren ihn nicht. Markus Lüpertz‘ Glasfenstergestaltung wurzelt im Mittelalter, führt aber in ganz herausragender Weise auch die großen Meister der klassischen Moderne weiter. Zu erinnern ist etwa an die Vergrößerung und Vereinzelung von Figuren und Motiven bei Fernand Léger, an Marc Chagall mit seiner prachtvollen Farbigkeit oder an die Dramatik und geometrische Stilisierung bei Jan Thorn Prikker und vor allem Georg Meistermann.